Freitag, 30. Januar 2009

Wie wir arbeiten werden

Der Journalismus legt die Ketten ab: Über die Zukunft eines Berufszweigs

Es gab mal eine Zeit, da war die Presse ein ganzer Industriezweig. Das Geschäft mit der Nachricht ernährte die unterschiedlichsten Handwerker: Schriftsetzer, Seitenbauer, Lithografen, Drucker, auch Abschreiber und Austräger. In der digitalen Welt sind die meisten Berufe verschwunden. Zum Publizieren braucht es nur noch eines: Inhalt. Darüber hinaus höchstens Programmierer und Gestalter; um das Angebot ansprechend zu präsentieren.

"Paper were things. Now they're thoughts", beschreibt der amerikanische Journalist und Blogger Jeff Jarvis den Wandel. Nur an den Journalisten selbst ging die Veränderung jahrzehntelang vorbei. Jetzt stecken die Verlage in der Krise. Und mit ihr ihre Angestellten. Das ist bekannt. Aus Redaktionen werden Zentralredaktionen, aus Büros Newsdesks. Die Worte sind Euphemismen. Der Klartext lautet: Redaktionen schrumpfen, Personal wird entlassen. Den Verlegern Vorwürfe zu machen, greift zu kurz. Es sind die Bedingungen, die sich geändert haben.

Es wird schlicht weniger verdient. Printauflagen fallen und die Anzeigenerlöse im Internet fangen die gesunkenen Einnahmen aus dem Verkauf der Papierprodukte in keiner Weise auf. Die Reaktion der Verlage: Sparen durch Abbau. Viel mehr ist den Verlagen bisher nicht eingefallen – das vielleicht kann man den Verlagen vorwerfen. Die mangelnde Kreativität. Aber das ist in der Geschichte der Wirtschaft keine Besonderheit. Selten geht die Innovation von den Konzernen aus. Viel zu schwerfällig. Viel zu wenig Unternehmerehrgeiz in den Konzernetagen mit ihren Angestelltenbüros. Das Neue kommt von außen. So ist es meisten. So könnte es auch in der Medienbranche sein.

Wie gesagt, die Pressekrise ist bekannt und oft genug beschrieben worden. Interessanter als die Bestandsaufnahme ist die Prognose, der Blick in die Zukunft. Welche Formen des Journalismus wird es in fünf Jahren geben? Welches Geschäftsmodell wird Erfolg haben?

Meine Überzeugung vorneweg:

Der Journalismus der Zukunft wird ein besserer sein. Er wird kompetenter, einzigartiger, interessanter. Der Umbruch, ist ein notwendiger. Er basiert nämlich nur auf den ersten Blick auf wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Sie aber haben ihre Ursache in überkommene Strukturen. Die werden nun weggefegt. Das Bessere war schon immer der Feind des Guten. Und wie immer während eines Strukturwandels wird es Gewinner und Verlierer geben. So viel lässt sich schon heute sagen: Gewinnen wird der Journalismus und mit ihm die Journalisten, verlieren werden die Verlage.

Die Begründung der Überzeugung:

Der aktuelle Arbeitsalltag der meisten Journalisten ist ein Anachronismus. Es basiert auf den Bedingungen einer vergangenen Epoche. Die Verlage arbeiten, als sei das Internet noch nicht erfunden. Am Morgen fahren die Redakteure in ihre Redaktionen, setzen sich an ihre Schreibtische, schalten ihre Computer an (oder gibt es irgendwo noch Schreibmaschinen;-)), konferieren in Konferenzräumen und liefern am Abend ihre Inhalte ab. Danach ist Dienstschluss.

Diese Arbeitsweise wird in zweifacher Hinsicht den heutigen Notwendigkeiten nicht mehr gerecht:

1) Die hohen Kosten der Infrastruktur sind überflüssig. Um journalistisch arbeiten zu können, braucht es in erster Linie einen Computer, einen Internetanschluss, ein Telefon - nichts also, was nicht sowieso jeder zu Hause hat. Was sich deshalb verändern wird: Die Arbeit wird in Zukunft dezentraler organisiert werden. Man spart sich Kosten für die Infrastruktur (Gebäude, Miete, Computer); auf der anderen Seite werden die Journalisten freier, weil sei nicht mehr jeden Morgen zur gleichen Uhrzeit am gleichen Ort erscheinen müssen. Was zählt ist das Ergebnis.

2) Der Output der herkömmlichen Arbeitsweise ist ungenügend: Durchschnittsware massenhaft! Die meisten Redaktionen arbeiten noch als seien sie Monopolisten der Information. Mehr als 100 Redaktionen treffen sich in Deutschland Morgen für Morgen zur Konferenz, diskutieren über die gleichen Themen. Danach setzen sich die Redakteure an ihre Computer und schreiben ihre Geschichten – die Ergebnisse sind in der Mehrzahl austauschbar.

Angela Merkel hält in Berlin eine Regierungserklärung und die Newsportale berichten darüber, alle. Und am nächsten Tag stehen Artikel im Nordkurier und im Südkurier und in weiteren 100 Zeitungen. Weil man noch immer so arbeitet wie vor dem Zeitalter des Internet. Als fast jeder Leser nur eine Zeitung kannte und las, und deshalb gar nicht wusste, was woanders stand. Das Internet aber macht jede Information jedem zugänglich. Die massenhafte Berichterstattung in fast identischer Weise ist damit überflüssig. Sie wird es deshalb nicht mehr lange geben.

Was sich verändern wird. Es wird geschehen, was in jeder anderen Branche in der gleichen Situation auch passiert: Die Unternehmen versuchen sich von der Konkurrenz abzusetzen, indem sie besser oder anders werden.

Für qualitativ hochwertigere Inhalte aber muss sich der Arbeitsprozess vieler Journalisten ändern, vor allem vieler Online-Journalisten. Sie werden bald nicht mehr in Redaktionen sitzen und Themen zugewiesen bekommen, heute über die Finanzkrise, morgen über Handytests und übermorgen über ein Theaterstück – mit dem stetige Begleiter des Halbwissens im Handgepäck. Diese Form des Journalismus mag der Leser akzeptiert haben, als das Medienangebot eingeschränkt war. In der Internetzeit verzichtet er auf derartige Inhalte dankend. Weil er im Netz mehr Kompetenz findet: Den Ökonomen, der die Ursachen der Wirtschaftskrise aufschlüsselt; den hauptberuflichen Tester, der die Schwächen der Handys en detail beschreiben kann; den einschlägigen Theater-Kritiker, der die Schauspieler persönlich kennt.

Deshalb: Die Zukunft des Journalismus verbindet Fachwissen mit dem Können, dieses anschaulich zu vermitteln. Gut möglich, dass diese Aufgabe zunehmend Blogger ausfüllen. Sie sind Experten auf ihrem Gebiet. Sie haben gelernt sich mitzuteilen. Sie diskutieren mit ihren Usern. Ihr Interesse für ein Thema endet nicht mit Dienstschluss. Geschichten werden weitergedreht, fortgeführt, erleben neue Wendungen, auch mit Hilfe der Blogleser. Außerdem: Blogger schreiben häufig nicht hauptberuflich. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit tragfähiger Geschäftsmodelle. Wer einem Blogger 1000 Euro im Monat für seine Inhalte bietet, wird auf Dankbarkeit stoßen; ein Redakteur in Vollzeit kann davon nicht leben.

Außerdem: Im Journalismus wird zunehmend Suchkompetenz verlangt. Es schreiben in Zukunft nicht mehr 100 Redakteure mit ähnlicher Kompetenz über die gleichen Themen. Jeder schreibt, worüber er am meisten weiß. Alles andere wird verlinkt. Dafür muss man die besten Inhalte im Netz aufspüren. Und das Netz ist nahezu grenzenlos. Das verlangte viel Wissen.

Und die Verlage? Die Hürde des Publizierens ist nicht mehr vorhanden. Die Folge: Journalisten können erstmals selbst publizieren und damit - zumindest theoretisch - ein Millionenpublikum erreichen. Es muss kein Papier gekauft, keine Druckmaschine gemietet, kein Austräger bezahlt werden. Der Journalist wird gleichzeitig Publizist und Verleger.

Allerdings werden es Einzelkämpfer auch in Zukunft schwer haben. Die meisten Blogs erhalten nur eine beschränkte Aufmerksamkeit. Sie werden häufig von Fachleuten für Fachleute geschrieben. Der Musiknerd schreibt für Musiknerds, der Volkswirt für Volkswirte, der Kinofreak für Kinofreaks. Dabei steht Vieles in Blogs, was Viele interessieren könnte; aber eben nicht zu jeder Zeit und nicht jeder Inhalt. Hier liegt das Geschäftsmodell der Zukunft: Blogger/Journalisten schließen sich zu Netzwerk zusammen. Jeder Autor behält seinen Blog, präsentiert diesen aber auf gemeinsamen Plattformen.

Eine Plattform präsentiert somit alle relevanten Inhalte eines Nachrichtenportals. Auf der Startseite wird aus der Vielzahl der Experteninhalte, die zu einer bestimmten Zeit besonders interessierenden Inhalte angezeigt. Nach einem Flugzeug-Absturz wird ein Post des Verkehrsexperten angerissen, wo dieser erklärt, warum das Unglück nicht abwendbar war. Zum Kinostart eines Blockbuster-Films wie „Operation Wallküre“ diskutiert der Kinofilm-Blogger die Besetzung der Hauptrolle mit Tom Cruise. Zeigt man darüber hinaus noch die besten Inhalte anderer Webseiten an, erhält man mit überschaubarem Aufwand ein umfassenden Nachrichtenportal mit außerordentlich kompetenten Inhalten. Das Beste vom Besten. Ein Verlag braucht es dafür nicht, auch deshalb, weil die Vermarktung des Portals extern vergeben werden kann. Alles was nötig ist: ein Netzwerk von Journalisten.

Zusammenfassung der zukfünftigen Veränderungen im Journalismus:
* Die massenhafte Anfertigung fast identischer Inhalte wird einer größeren Differenzierung und einer besseren Qualität weichen.
* Journalisten benötigen stärker als bisher Fachwissen und werden ihre Veröffentlichungen auf dieses Gebiet konzentrieren
* Journalisten benötigen stärker als bisher Suchkompetenz, um jene Inhalte, die sie nicht selbst erstellen, im Netz zu finden und gesammelt zu präsentieren.
* Der bei einem Verlag angestellte Journalist, der jeden Morgen ins Büro fährt, wird es zunehmend weniger geben. Weil die Infrastruktur nicht nötig ist, weil es grundsätzlich Verlage zum Publizieren immer weniger braucht.

Keine Kommentare: