Mittwoch, 24. September 2008

Google ist nicht witzig

Eintönig oder einzigartig: Wie die größte Suchmaschine der Welt den Journalismus verändert

Google kann keine Flugzeuge zum Absturz bringen, aber Fluggesellschaften. Am Morgen des 8. Septembers war die Aktie von United Airlines ins Bodenlose gestürzt. Innerhalb weniger Minuten sackte der Kurs um 76 Prozent ein. Was war geschehen? Auf der Internet-Startseite der amerikanischen Zeitung „South Florida Sun Sentiel“ hatte fälschlicherweise ein Artikel aus dem Jahre 2002 gestanden. Der Text hätte sich eigentlich im Online-Archiv befinden sollen. In dem Artikel war die Insolvenz von United Airlines vermeldet worden. Google, das stetig Webseiten nach neuem Inhalt durchforstet, hatte den Artikel entdeckt und ihn auf Google News, seiner Suchseite für Nachrichten, dargestellt. Dort entdeckte ihn ein Analyst von "Income Securities Advisors" und schickte die Nachrichte über die Wirtschaftsnachrichten-Agentur Bloomberg auf die Börsen-Bildschirme der Aktienhändler.

Weder die Zeitung, noch Google, noch der Analyst, noch die Aktienhändler hatten den Fehler bemerkt. Dabei hätte beim Lesen des Artikels schnell klar werden können, das der Text veraltet ist. Viele Rückschlüsse, lassen sich aus dieser Geschichte ziehen. Einer ist: Google News hat eine enorme Bedeutung im Nachrichten-Geschäft.

Verlage haben den Erfolg von Google News lange kritisch beäugt. Verständlich. Nachrichten kosten Geld. Sie müssen rechechriert, geschrieben und veröffentlicht werden. Google aber nimmt sich fremde Nachrichten-Texte und präsentiert sie selbst. Auf der anderen Seite: Google zeigt nicht die ganze Nachricht, sondern nur die ersten Zeilen. Wer mehr will, klickt und landet im Webangebot des Nachrichtenerstellers. So profitiert auch dieser von Google News.

Rund ein Viertel aller Besucher von Nachrichtenseiten landen über einen Link bei Google dort. Es ist also äußerst lohnend, auf der Trefferliste des Suchmaschinen-Betreibers auftauchen. Aber nicht irgendwo, sondern weit vorne. User klicken in aller Regeln nur auf einen der ersten Einträge einer Trefferliste. Wie aber kommt man auf die erste Seite einer Trefferliste bei Google?

Rund 200 Kriterien soll es bei Google geben, die darüber entscheiden, ob und wo ein Internetseite bei den Suchtreffern auftaucht. Wie die Kriterien aber konkret lauten und wie sie gewichtet werden, darüber schweigt sich das Unternehmen aus Kalifornien aus. Zu Recht. Eine Armada von Unternehmen lebt davon, für seine Kunden Webseiten zu optimieren, damit diese bei Google weit vorne erscheint. Google ist aber nur dann eine gute Suchmaschine, wenn dort Inhalte gefunden werden, welche für die User von Interesse sind, nicht jene, die mit viel Geld und vielen Tricks auf der ersten Suchtreffer-Seite von Google landen. Der Ablauf ist ein Katz-und-Maus-Spiel: Google verändert ständig seinen Such-Algorithmus (im vergangenen Jahr 450 Mal) und die Suchmaschinen-Optimierer versuchen die veränderten Suchgewohnheiten von Google zu verstehen, um daraufhin Webseiten anzupassen.

Diese Optimierung findet mittlerweile nicht mehr nur in den Technik-Abteilungen statt, sondern auch in den Redaktionen selbst: Onlineredakteure bekommen zum Beispiel Anweisungen, wie sie titeln sollen. Nämlich keine verschnörkelten Feuilleton-Überschriften sollen verwendet werden, sondern eine klare deutliche Sprache. Google mag es simpel. Und im Vorspann soll möglichst das Schlüsselwort des Textes auftauchen, ein Wort also, dass den Text zusammenfasst und nachdem mutmaßlich viele User bei Google suchen. Das Wort soll dabei am besten mehrfach im Vorspann erscheinen, Synonyme seien zu vermeiden. Denn für Google ist die Mehrfachverwendung des gleichen Wortes ein Hinweis dafür, dass es auf dieser Seite vor allem um Inhalte rund um dieses Wort geht. Gibt ein User bei Google dann diesen Suchbegriff ein, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese Seite unter den ersten Treffern auftaucht.

Damit aber erzeugt Google Eintönigkeit. Titeln wird der Witz genommen, weil die Google Witze nicht versteht und die Vielfalt der Sprache wird reduziert, auf sich stetig wiederholende Begriffe. Andererseits: Google lernt dazu. Es wird nicht lange dauern, dann wird die Google-Software Synonyme zu Wortgruppen zusammenfassen können. Vielleicht macht sie das heute schon. So genau weiß man das nicht. Sicher ist: Bereits jetzt honoriert Google Internet-Seiten, auf denen so genannte „Keyword-Welten“ zu finden sind, damit sind Wortgruppen gemeint, die in einem Zusammenhang stehen, wie etwa Urlaub, Meer und Adria. Kommen solche Begriffe auf einer einzigen Seite vor, dann vermutet Google, dass ein Thema ausführlich behandelt wird und bewertet die Seite höher.

Außerdem: Google hasst Kopien und prämiert die Einzigartigkeit. Webseiten, welche vorwiegend Agenturmaterial anbieten, haben bei Google News kaum eine Chance. Weil es eine Seite unter vielen ist. Die Wahrscheinlichkeit, mit einem Angebot, das auf hundert anderen Seiten ebenfalls zu finden ist, bei Google auf einem der vorderen Plätzen zu erscheinen, ist gering. Anders verhält es sich bei Exklusiv-Nachrichten: Wer eine Nachricht als einziger oder zumindest als erster hat, dem ist eine Top-Platzierung sicher. So fördert Google ungewollt den Journalismus, weil Eigenrecherche belohnt wird.

Und ein weiterer Grund spricht gegen die Angst mancher Verleger vor Google News. Bei Google News werden von Menschen erstellte Nachrichten durch eine Computer-Software zusammengetragen. Das verläuft im besten Fall ohne Fehler. Was einer solchen Seite aber immer fehlen wird, ist das Individuelle. Google sammelt auf, was es im Internet findet. Ein gute gemachte Zeitung aber ist mehr: dort wird abgewogen, Meinung gemacht, Gesicht gezeigt, Image aufgebaut. Immer mehr geht es in der wachsenden Zahl von Webangeboten darum, einzigartig zu sein. Nur wer nicht ist wie die Anderen, bleibt sichtbar.

Mittwoch, 10. September 2008

Das Twitter-Mosaik

Warum ist Mikrobloggen so erfolgreich? Weil der Mensch Nähe braucht

Alex Beam ist 54 und versteht die Welt nicht. Der Kolumnist des Boston Globe hat jüngst eine Artikel über Twitter geschrieben. Twitter ist jener Internetdienst, bei dem man Botschaften kurz wie eine SMS verschickt. Der Unterschied zur SMS: Die Nachricht hat nicht einen, sondern viele Empfänger. Es wird „getwittert“, dass man gerade auf dem Weg zur Arbeit ist; welchen Kinofilm man am Abend zu sehen gedenkt; warum die Pizza beim Lieblingsitaliener besonders lecker war. Twitter-Beiträge sind zu 99,9 Prozent belanglos.

Beam jedenfalls hatte sich für seine wöchentliche Kolumne Twitter angesehen und schnell wieder die Finger von gelassen. Sein Fazit: "Wen soll es stündlich interessieren, was ich den ganzen Tag mache? Das interessiert ja nicht einmal mich."

Mikrobloggen oder Micropublishing sind zwei Begriffe, die das Gleiche meinen, nämliche das zeitnahe Mitteilen knapper Informationen. Es ist die kleine Schwester des großen Bruders „Blog“. In einem Blog wird thematisiert, analysiert, ausgeufert. Ein Mikroblog dagegen ist kurz und knapp. Twitter ist der bekannteste Anbieter. 140 Zeichen pro Nachricht sind dort erlaubt. Lesen kann diese Nachrichten jeder der möchte; allerdings ist es auch möglich, den Kreis der Betrachter einzuschränken. In der Regel sind Freunde und Bekannte die Adressaten (bei Twitter „Follower“ genannt). Die Lesen die Botschaften auf ihrem Computer, immer öfters auch auf dem Handy. Was geschrieben wird, ist, wie gesagt, in der Regel trivial. Warum aber ist Twitter dann so erfolgreich? Vor allem bei Jüngeren. Siegt die Banalität über den Tiefgang, die Phrase über die Differenzierung?

Im New York Times Magazin war neulich ein langer und interessanter Artikel zu lesen. Der Wissenschafts- und Technik-Journalist Clive Thompson hat ihn geschrieben. Thompson glaubt, dass die Faszination von Twitter und Co nie begriffen werden könne, wenn man sich nur einzelne Beiträge anschaue. Man müsse Twitter länger nutzen, um den Wert der Anwendung zu erschließen.

Konkreter: Folgt man einem User über Twitter, entsteht im Laufe der Zeit ein Bild von diesem Menschen. Weil man ihm immer näher kommt. "Wer bei einer unbekannten Person auf einen Twitter-Eintrag schaut, empfindet das als langweilig und dummes Geschwätz. Aber wenn Sie dieser Person einen Tag folgen, werden ihnen die einzelnen Einträge in der Summe wie eine kleine Geschichte vorkommen, folgen Sie dieser Person einen Monat, entsteht ein Roman", schreibt Thompson.

Aus den einzelnen Nachrichten entsteht, wie bei einem Mosaik, ein Gesamtbild. Thompson: "Es ist eigentlich ein Paradox: Jedes kleine Update - jedes kleine Häppchen von sozialer Information - ist für sich genommen völlig unwichtig. Aber im Laufe der Zeit verbinden sich die Schnipsel zu einem Bild über das Leben eines Menschen, so wie aus tausenden Punkten ein Gemälde werden kann.

Twitter als Lebensbegleiter also, ein Abbild des "echten" Lebens. In diesem echten Leben begegnen sich Menschen von Angesicht zu Angesicht, sie schauen sich an, führen Small-Talk-Gespräche, achten auf die Körpersprache, begutachten aus dem Augenwinkel. Auch dort wird aus Einzelteilen ein Bild. Jede Wahrnehmung ist für sich genommen, wenig wert, oft banal, kaum der Rede wert. In der Summe aber entsteht ein Vorstellung, man ordnet ein, Empathie kann wachsen, manchmal auch Antipathie.

Twitter funktioniert ähnlich, und ist doch nur Ersatz. Weil Nähe mehr ist als der Austausch von Worten. Diese Erfahrung machen täglich Tausende. Menschen, die sich auf Single-Börsen umschauen und dann ein Treffen außerhalb des Internets vereinbaren. Oft ist die Verwunderung groß. Das Bild, das über die Kommunikation im Internet geprägt wurde, will nicht zur realen Person passen. Das Mosaik ist im besten Fall lückenhaft. Eine Enttäuschung muss dass nicht bedeuten. Auch ein verändertes Mosaik kann gefallen: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS/Emnid entstehen über das Internet mittlerweile mehr Beziehungen als in Kneipen und Diskotheken. Nur durch Arbeitsplatz und Freundeskreis werden mehr Singles zu Paaren.

Mittwoch, 3. September 2008

Die Angst vor der Raubkopie

Kommt das E-Book oder kommt es nicht? Über die Zukunft des digitalen Lesens

Dem ersten Augenschein nach ist der Buchdruck ein Anachronismus. Autoren tippen Romane in schicke Notebooks, versenden die digitalen Werke an ihre Verleger; diese stellen mit aufwändiger und teurer Computertechnik Druckplatten her - und am Ende formt Druckerschwärze Farbkontraste auf verarbeitetes Holz. Kompliziertes Computerwissen steckt hinter (oder genauer gesagt vor) einem Endprodukt, das kaum anders aussieht als im 15. Jahrhundert als Johannes Gutenberg den Buchdruck erfand. Absurd, eigentlich.

Warum es den Buchdruck noch immer gibt, hat einen trivialen und einen weniger trivialen Grund. Der triviale: Das Buch hat gegenüber einem digitalen Text unübersehbare Vorteile. Ein Buch fasst sich gut an. Es braucht keinen Strom. Fällt es auf den Boden, muss man vor dem Weiterlesen höchstens Schmutz wegwischen. Beim Lesen ist immer ein Gefühl vorhanden, wie viel man schon gelesen hat, wie viel noch vor einem liegt. Man kann einfach Notizen anfügen, Wörter unterstreichen. Jedes Buch ist in gewisser Weise einzigartig. Ist es ein Geschenk, steht auf einer der ersten Seiten meist ein persönlicher Text. Und das wichtigste: Schwarze Buchstaben auf weißem Papier lesen sich einfach gut.

Die Liste der Nachteile des Buchs gegenüber digitalisiertem Text ist kürzer, dennoch gewichtig. Wer mit mehreren Büchern verreisen will, spürt die Last. Beim Umzug kann die Last zur Qual werden. Der Buchdruck ist relativ unökologisch. Es braucht Holz, Druckerschwärze und am Ende muss das Werk auch noch zum Leser transportiert werden. Und: Bedrucktes Papier lässt sich nicht aktualisieren, digitale Daten schon. Außerdem lassen sie sich wesentlich kostengünstiger verbreiten. Bildung als Grundrecht ist so einfacher zu verwirklichen.

Nach Abwägung von Vor- und Nachteilen hat der Konsument bisher ein eindeutiges Votum gefällt: Das Buch à la Gutenberg ist der klare Favorit. Nie wurden mehr Bücher gedruckt, gekauft (und vielleicht auch gelesen) als heute.

Dem Buch in digitalisierter Form wurde dagegen schon mehrfach eine große Zukunft prognostiziert. Doch die Zukunft lässt auf sich warten. 1999 kam das erste Lesegerät für E-Books auf den Markt, das Rocket eBook. Medienberichte erschienen in denen den traditionellen Büchern der Todesstoß prophezeit wurde. Doch die Nachfrage kümmerte sich nicht um Prognosen. Der Umsatz mit Büchern stieg, das Rocket eBook wurde mangels Nachfrage bald wieder eingestellt. Weitere Geräte-Typen folgten, die Namen kennt heute keiner mehr.

Seit einigen Monaten wird wieder über elektronische Bücher gesprochen. Das ist der Verdienst von Amazon. Das riesige Handelshaus hat im November vergangenen Jahres in den USA ein Lesegerät mit dem Namen Kindle auf den Markt gebracht. Es speichert bis zu 200 Bücher und greift drahtlos auf den Online-Shop von Amazon zu. 90 000 Bücher kann man dort kaufen. Was sich im Vergleich zu den ersten Geräten wesentlich verbessert hat: die Lesequalität. Die Kontraste des Bildschirms sind deutlicher. Außerdem: Die Akkus halten länger. Das Kindle soll angeblich erst nach einer Woche Dauerlesen Strom verlangen. Für den deutschen Markt soll Kindle unbestätigten Berichten zufolge auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt werden.

Und das Kindle ist nicht allein. Laut der Tageszeitung "Die Welt" will Sony ebenfalls zur Buchmesse sein neues Lesegerät, das "Reader Digital Book", vorstellen. Es könnte ein Zweikampf zischen Amazon und Sony werden. Allerdings: Bisher gibt es für deutsche Texte allenfalls digitale Buchdeckel. Von Inhalt keine Spur. Wenn überhaupt, werden bisher Fachbücher in digitaler Form angeboten. Renommierte, aktuelle Romane sucht man vergebens. Und damit zum weniger trivialen Grund, warum das E-Book bisher kein Erfolg ist: Die Verleger wollen gar nicht. Die Druckerschwärze ist für sie bisher eine Art Lebensversicherung. Den Niedergang der Musikindustrie vor Augen wehren sie sich gegen die Digitalisierung ihrer Bücher. Weil Digitalisierung Reproduktion bedeutet. Ein gedrucktes Buch kann man lediglich Seite für Seite kopieren oder einscannen. Beides ist mühselig. Deshalb funktioniert das Geschäftsmodell der Verlage noch. Weil Raubkopien eine Seltenheit sind.

Auf der anderen Seite: Verlage wittern mit E-Books auch ein Geschäft. Bei Amazon in den USA machen bereits sechs Prozent des Absatzes E-Book-Verkäufe aus. Tendenz steigend. „Die Welt“ vermutet, dass Sony zur Buchmesse Verlage präsentieren wird, die ihre Bücher für das Gerät anbieten werden.

E-Book-Experte Professor Ulrich Johannes Schneider, Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig, glaubt, dass dem Verlagen nichts anderes übrig bleiben wird, als in Zukunft stärker auf E-Books zu setzen. "Wenn die Leser andere Wege zum Text suchen und finden, müssen die Verlage da einfach mitgehen", so Schneider jüngst in einem Gespräch im Sender Deutschlandradio Kultur. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Verlage überflüssig würden. Denn das Publizieren ist zumindest theoretisch wesentlich einfacher geworden: Der Autor schreibt einen Text und veröffentlicht ihn im Internet – fertig. Für Schneider hat das Folgen: "Verlage sind Filter in unserer Kultur, sind Garantien für eine bestimmte Art von Qualität, insofern wäre es sehr schade, wenn Verlage in Gefahr gerieten."

Auf der anderen Seite sieht Schneider im E-Book die Chance auf Bildung einer breiteren Bevölkerungsschicht: "Ich finde das es die Schwelle zum Bücherlesen, wie es sie beim Betreten einer Bibliothek, einer Buchhandlung, ja immer noch impliziert, weiter senkt", so der Bibliotheksdirekter im Deutschlandradio Kultur. Am wichtigsten aber sei, dass das elektronische Lesen, den Kern dieser Kultur gar nicht berühre: "Die Attraktivität von Texten und dass wir es lieben, uns in alternativen Welten zu verlieren und uns durch Texte entführen lassen, das ist ja dadurch nicht in Gefahr - und vielleicht wird sogar stärker angefacht, diese Lust am Lesen."